Todesstoß für die ungarische Kunst / response

Alexander Schikowski / response: Hajnal Németh
(November 24. 2012)

Liebe Kulturbeflissenen!
Die ungarische Kunst hatte es nie leicht in den letzten 23 Jahren global oder europaweit auf sich aufmerksam zu machen.
Zum Großteil formalistisch, sozial uninteressiert, apolitisch, selbstreferenziell und viele Meinungsmacher beklagten weinerlich, dass “wenn man Miklós Erdelyi nicht kennt, kann man die ungarische kontemporäre Kunst nicht verstehen”
Als ob man zum Verständnis von Gerhard Richter Joseph Beuys kennen müsste.

Nun hat die ungarische “echte” Kunst ihren Todesstoß bekommen: Nachdem schon die Nationalgalerie zu Propagandazwecken missbraucht wurde (Ausstellung “Könige, Helden, Heilige”) und der ungarischen “nationalen” Regierung Platz machen werden muss. (die Nationalgalerie befindet sich – noch – im Burggebäude, da will der König, äh Premierminister hin), wurde nun die Kunsthalle (Mücsarnok) und die Vergabe von Preisen, wie des Kossuth-Preises (die höchste nationale Auszeichnung für Künstler) und des Szechenyi Preises in die Hand des Politorgans MMA “Magyar Müveszeti Akademia”, der Ungarischen Akademie der Künste, eine junge, bisher unwichtige, aber seit 2011 in die Verfassung geschriebene, regierungstreue Kulturinstitution gegeben.
artportal

Weiterhin bestimmt diese Institution über die Teilnahme an internationalen Biennalen. Ganz zu schweigen davon, dass nun nationale Künstler gezeigt und gefördert werden. So wie die da:
Pusztaranger

Man stelle sich vor, Angela Merkel, Peer Steinbrück, Philipp Rösler, Cem Özdemir oder Horst Seehover würden die Künstler für die Biennale in Venedig aussuchen, oh Graus!

Der Chef des Ganzen, ein Innenarchitekt namens György Fekete macht auch schon von sich reden, mit Aussprüchen wie diesen: “Wenn in den Werken keine nationale Gesinnung zu erkennen ist, brauchen wir sie nicht.” “Die Kunsthalle gehört jetzt uns!” und “Es ist zu befürchten, dass man im Ausland György Konrád als ungarischen Künstler bezeichnet.” (Der ungarische Schriftsteller György Konrád war 1997-2003 Leiter der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. Er ist jüdischer Abstammung.)

Nun, ohne Sarkasmus, die ungarischen Künstler haben ja lange zugesehen und gehofft, dass es anders kommt, nun ist die Hoffnung gestorben, verdient haben sie es nicht, aber mit Passivität fördert man immer nur die Aktiven (oje, was für ein Allgemeinplatz für demokratische Ohren): sie waren zu unpolitisch, zu unsozial, zu selbstbezogen (wie ihre eigenen Politiker immer noch sind) und wählen sind die meisten auch nicht gegangen, also jetzt bitte nicht beschweren.
Und ehrlich gesagt, wer wundert sich noch in einem Land, in dem antisemitische “Schriftstellergrößen” wie József Nyirö und Albert Wass in den “nationalen (sic!) Lehrplan” erkoren werden und ein bekennender Jobbik-Anhänger und Antisemit György Dörner als Direktor ans “Neue Theater” gehievt wird.
Eigentlich hätte man es schon seit der Machtübernahme Orbáns wissen können, als erster Akt im april 2010 wurde allen alternativen Theatern der Geldhahn zugedreht, bestehende Förderverträge wurden als nichtig eingestuft.

Wer möchte kann sich, so wie ich, den Schwanengesängen der AICA International Association of Art Critcs
anschliessen:
link

oder warten, so wie ich, bis das Land dekonstruiert ist, um es neu aufzubauen. Das gab es ja nicht nur einmal in der Geschichte. Ohne Pessimismus wird das – so stehen die Vorzeichen – leider erst 2018 der Fall sein. Wir beten aber für eine Erlösung bereits bei der nächsten Wahl 2014.

Es gibt – am Rande – auch gute Nachrichten: Das Gesetz zur Kriminalisierung der Obdachlosigkeit (Strafe 500 EUR (sic!)) wurde vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Jetzt sind die FIDESZ-en sauer und brüten über einem neuen Gesetzesentwurf. “Letztes Mal” haben sie einfach die Kompetenzen des Verfassungsgerichtes kastriert, warum so zögerlich, schafft das lästige Verfassungsgericht doch endlich ab!
Und nochwas Gutes: Die Künstler regen sich! Die nationalen freuen sich, die “avandgardistischen” grämen sich.
Mittlerweile sind auch die Schüler und Studenten auf den Straßen, sie sehen die Freiheit der Lehre in Gefahr. Ihnen kann man nicht mehr damit begegnen, sie seien von der ungarischen Linken oder dem Ausland finanziert.

Lesz még egyszer magyar köztársaság!
Es wird noch einmal eine ungarische Republik geben!

Opre roma!

Open response to Alexander Schikowski

Dear Alexander Schikowski,

I friend of mine forwarded your mail to my
address, hope you don’t mind if I give a short
reflection and if I do it in english.
Shortly introducing myself: I am a “hungarian”
artist too, one of the hungarians you mentioned –
by origin and nationality.
This categorie can not be relevant in case you
want to talk about “art” and/or “artist”,
specially in case if you are trying to analyze
and criticize the present tragical, situation in
Hungary: the taking wing of dark nationalism.
You can not lump together all the art what was
made here in the “last 23 years” and all the
artists who where active in that period.
We are all individualities and we should be free as our art should be free.
Art CAN BE: formal or conceptual, political or
apolitical, reflective, selfreflective or
non-reflective, BUT FREE.
There are several excellent artists in Hungary
who did excellent works in the last 23 years and
will have to face PERSONALLY a very hard
situation in the close future, cause they are
living HERE.

Please be so kind and think over your words and
if you feel like helping on our situation with
any written statement or on your possible way:
do open yourself to go deeply in to the HERE and
NOW, and contact the concerned “hungarian art
scene” PERSONALLY to get a real image.
The real image is never the general one, it is
always complex and it’s complexity is it’s beauty
in itself.

Have a nice day and I wish us free art in a free future, let’s
talk about how we make it possible.

Hajnal Nemeth

ps. Miklós Erdély (not Erdélyi!)

 

This entry was posted in DE. Bookmark the permalink.