Grenzgänger im Minenfeld

Paul Lendvai ist einer der kenntnisreichsten Beobachter Osteuropas und war im Laufe vieler Jahre einer der wichtigsten Interpreten dieses Teiles der Welt. Das ist eine erstaunliche Leistung: Lendvai ist der Sohn einer assimilierten jüdischen Familie aus Budapest. Sie überlebten die Deportationen und die Todeslager dank eines schweizerischen Schutzpasses. Am Endes des Krieges war Lendvai gerade sechzehn Jahre alt. Schon mit zwanzig schrieb er für sämtliche führenden ungarischen Zeitungen. Lendvai gehörte dem linken Flügel der ungarischen Sozialisten an, diente im Militär, wurde verhaftet und erhielt Berufsverbot. Während des Ungarnaufstands von 1956 gelang dem jungen Journalisten die Flucht nach Wien.

In Österreich begann seine steile internationale Karriere. Sie war um so eindrucksvoller, als er damals weder die deutsche noch die englische Sprache vollkommen beherrschte. Er wurde Korrespondent der “Financial Times”, gründete später seine eigene Zeitschrift, die “Europäische Rundschau”, nahm eine führende Rolle im österreichischen Fernsehen ein und schrieb zahlreiche, in viele Sprachen übersetzte Bücher über Osteuropa und den Balkan. Innerhalb kurzer Zeit wurde Lendvai einer der verlässlichsten und einflussreichsten Interpreten Osteuropas. Darüber hinaus ist er der Biograf Bruno Kreiskys, des erfolgreichsten Politikers des Landes in der Nachkriegszeit. Lendvai wurde von Kreisky geschätzt; die Hochachtung war gegenseitig. Lendvai ging in seinem Buch zu flink über die Schwächen des österreichischen Bundeskanzlers hinweg – den Preis, den Kreisky für sein Kabinet der nationalen Einheit bezahlte, nämlich die Aufnahme von Altnazis in die Regierung, war hoch.

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