Der ungarische Staatspräsident János Áder hatte bereits am 13. März, als die westliche Welt auf den weißen Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle starrte, im staatlichen Fernsehen mit knappen Worten mitgeteilt, dass er die zwei Tage zuvor von der Zweidrittelmehrheit des regierenden Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) verabschiedete vierte Modifizierung des ungarischen Grundgesetzes unterschreiben werde. Dabei hatte sich die letzte Hoffnung vieler Menschen zunächst auf den Präsidenten gerichtet. Er hätte die neuerliche Umgestaltung des erst im vorigen Jahr in Kraft getretenen, 25 Seiten starken Grundgesetzes noch verhindern können.
Áders Vorgänger, der seinerzeit ebenfalls mit Fidesz-Stimmen gekürte Staatspräsident László Solyom, hatte in einem umfänglichen juristischen Essay dargelegt, dass der Präsident laut Verfassung Änderungen des Grundgesetzes nicht nur absegnen müsse, sondern dass er auch die Aufgabe habe, die Demokratie zu schützen. Der entsprechende Passus des Grundgesetzes schreibt tatsächlich vor, dass der Präsident »über das demokratische Funktionieren des Staatswesens zu wachen« hat. Solyom forderte Áder direkt auf, unter Berufung auf diese Klausel die Gegenzeichnung zu verweigern.