Offener Brief an ungarischen Minister

1. Februar 2013
Was sich der Intendant des Burgtheaters Wien Matthias Hartmann und prominente UnterstützerInnen für das ungarische Theater wünschen

Sehr geehrter Herr Minister,

Im vergangenen Jahr hat eine Reihe von kulturpolitischen Maßnahmen Ihres Ministeriums, insbesondere in Bezug auf die ungarische Theaterszene meine Aufmerksamkeit erregt.
Wie Sie wissen werden, sind einige dieser Maßnahmen sowohl in Ungarn als auch in Österreich sehr umstritten.
Darum schreibe ich Ihnen gemeinsam mit sechs mir verbundenen Künstlern, nämlich mit Elfriede Jelinek, Michael Haneke, Erwin Wurm, Ewald Palmetshofer, Kathrin Röggla und Peter Turrini, was wir uns für das Theater in Ungarn heute und in Zukunft wünschen.
Diese Wünsche, die Sie weiter unten finden, möchte ich Ihnen mit allem gebotenen Respekt ans Herz legen.

Mit verbindlichem Gruß

Matthias Hartmann
Intendant
Burgtheater Wien

 

Elfriede Jelinek

Das ungarische Theater hat viel zur Reputation des Landes beigetragen, indem es bisher, sowohl in staatlichen als auch freien Bühnen, sämtliche kulturellen Potentiale ausgeschöpft hat. Diese Tradition wird jetzt aber kaputtgemacht, indem auf kurzsichtige Weise kulturelle mit nationalistischen Dingen verknüpft werden. Jede Form der politischen Instrumentalisierung oder gar ideologischen Disziplinierung von Kunst, jede Form von Zensur macht ein Land nicht nur unproduktiver und letztlich ärmer, sondern sie begünstigt auch Repression und Gewalt gegen Minderheiten. Und das wäre nun wirklich das schlechteste gesellschaftliches Signal. Ich finde, man muß Ungarn, seine Künstler, sein Theater jetzt unbedingt darin unterstützen, solchen Tendenzen entgegenzutreten.

 

Michael Haneke

Es ist keine Frage von rechts oder links: Freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit sind Menschenrechte. Staaten, die diese Rechte durch offene oder heimliche Zensur unterwandern, hören auf, Demokratien zu sein.

 

Erwin Wurm

Sehr geehrter Herr Minister Balog,
Ich habe die kulturpolitischen Entwicklungen der letzten Monate in Ungarn mit Sorge und Skepsis verfolgt und fühle mich als Künstler in einem freien Europa genötigt, gegen die politisch motivierte Neubesetzung des ungarischen Nationaltheaters zu protestieren!
Ich erlaube mir hiermit, Ihnen einige persönliche Wünsche für das Jahr 2013 ans Herz zu legen.
Ich wünsche mir ein freies ungarisches Theater, das die Möglichkeit hat, seine Intendanzen ohne Einflussnahme der Politik nach seriösen und relevanten Kriterien zu besetzen, um so einen vielfältigen und gesunden Kulturbetrieb zu gewährleisten.
Ich wünsche mir ein freies ungarisches Theater, das die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel unabhängig von politischer Diktion und Zensur im Sinne der Spielstätten und Künstler verwenden kann.
Schlussendlich wünsche ich mir für das ungarische Theater ein Umdenken der Regierung, insbesondere Ihres Ressorts und eine demokratische und aufgeklärte Herangehensweise an kulturpolitische Themen.
Einseitige politische Einflussnahme auf Kunst und Kultur erachte ich als äußerst gefährlich und hoffe auf die rechtzeitige Einsicht der Entscheidungsträger der Regierung, dass derartige Tendenzen großen Schaden verursachen und zu Verkümmerung und Stillstand führen können.

 

Ewald Palmetshofer

Die Gegenwart der Dinge, die Ordnung, sie hat nicht das letzte Wort. Das sagt die Kunst der Gegenwart. Sie ist eine Befragerin der Dinge. Sie ist eine Befragerin der Ordnung. Sie glaubt an deren Veränderbarkeit, Unabschließbarkeit und an deren grundlegende Befragbarkeit. Dieser Glaube verbindet sie, die Kunst, aufs Tiefste mit dem Herzen der Demokratie: dass nämlich nichts und niemand Gewalt über das letzte Wort besitzt, dass die Befragung der Ordnung durch alle ihre Befragerinnen immer folgen wird und kann und muss und darf. Die Gegenwartskunst setzt unsere Gegenwart der ständigen Befragung aus, so wie die Demokratie immer wieder jede von ihr selbst hervorgebrachte Ordnung zur Frage stellt und stellen muss. Beide, Kunst und Demokratie, gehen unteilbar von der Freiheit und Gleichheit aller Menschen aus und beide versuchen diese Freiheit und Gleichheit zu verwirklichen und die Ordnung der Dinge zu befragen, wo diese Verwirklichung nicht geschieht. Die Befragung hört nie auf. Nie ist die Demokratie am Ziel. Nie die Kunst. Nie die Befragung abgeschlossen. In diesem Sinn ist der Augenblick der Gegenwart historisch. Historisch – das heißt: offen auf die Veränderung hin, offen auf das andere, auf den anderen und die andere hin, hin auf Freiheit und Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Einkommen, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Weltanschauung oder religiöser Identität. Als diese Offenheit ist Gegenwart historisch, andernfalls ist sie tot. Das gilt für die Kunst. Das gilt für die Demokratie.
Besorgt drängend bitte ich die ungarische Regierung, sich nicht jenseits der Befragbarkeit zu situieren, sich dieser vielmehr auszusetzen, sie nicht aus- oder abzuschließen, sondern zu befördern und die Orte, an denen sich die Befragung formuliert und ausdrückt, zu wahren. An die Kolleginnen und Kollegen der Kunst der Gegenwart in Ungarn richte ich mich respektvoll mit meiner solidarischen Bitte, weiterhin nicht abzulassen von der Befragung der Ordnung der Dinge, nicht abzulassen also von der Kunst, der Offenheit der Gegenwart, und dem politischen Zeugnis für die Freiheit und Gleichheit aller, an ihren Orten und an allen Orten, derer wir alle bedürfen, überall und in gleicher Weise und zu aller Zeit.

 

Kathrin Röggla

Sehr geehrter Herr Balog,
ich schreibe Ihnen in großer Sorge um die Situation der Theaterhäuser sowie der künstlerischen Lage in Ungarn. Da die Theaterszene stets international ist, sich in ständigem Austausch quer durch die Länder, Sprachen und Kulturen befindet, kein Land Kunst für sich allein macht, besonders im europäischen Raum, erwarte ich von Ihnen, dass Sie nicht nur die Neubesetzung des Intendanten des Nationaltheaters aus rein politischen Gründen, sondern auch die Maßnahmen zur finanziellen Austrocknung der freien Szene, die gerade die von Ihnen gewünschten ungarischen Traditionen am fruchtbarsten reflektiert hat, revidieren. Mehr noch: Zeigen Sie, dass Ihre Theaterszene nach wie vor ein lebendiger und avancierter Bestandteil des europäischen Kulturgeschehens sein kann und kein verstaubtes Museum eines vermeintlichen nationalistischen Frohsinns! Ich erwarte mir, dass Sie bereit sind, einer demokratischen künstlerischen Auseinandersetzung sich zu stellen, was beinhaltet, dass Sie die breiten Proteste der ungarischen Kunstszene wahr- und ernstnehmen, eine Vielfalt von Experten hören und sich nicht auf alte Fährten eines Überwachungsstaates begeben und die gesamten künstlerischen Institutionen mit Ihnen politisch nahestehenden Funktionsträgern besetzen. Durch derart autoritäres Gebaren wird es nicht nur um die Kunst schlecht bestellt sein. Kritik ist eine Überlebensnotwendigkeit für jede Demokratie. Und nur Demokratien haben eine Zukunft in Europa.

 

Peter Turrini

Die Politik soll den Theaterbetrieb ermöglichen und sich ansonsten heraushalten. Nur Diktaturen mischen sich ein.

 

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