Kulturkampf in Ungarn: Kunsthalle wegen “Blasphemie” unter Kuratel gestellt
Rund um die Budapester Kunsthalle, neben Nationalmuseum und Museum der Schönen Künste eine der bedeutendsten ungarischen Einrichtungen für Bildende Kunst, spielt sich ein neues Kapitel des seit dem Machtwechsel 2010 tobenden Kulturkampfes ab. Weil die letzte Ausstellung “national-blasphemisch” war, befand ein Altherrenrat, dass man die Geschicke der Mücsarnok in würdigere Hände legen soll. Die Regierung zog mit, der Direktor zog ab…
“Nationale Blasphemie” und keineswegs Ungarisch genug, war alten, erzkonservativen Kunstwächtern die letzte Ausstellung in der Mücsarnok. Daher übernahm man den Laden kurzerhand… Weitere Lästerungen in der Galerie unter diesem Text
Wie auf diesen Seiten umfänglich berichtet (siehe diesen Grundsatzbeitrag, darin weiterführende Links sowie die Links unter diesem Text), strebt die Orbán-Regierung nicht nur eine Art zentralisierte Staatskultur mit entsprechend gelenkter Mittelvergabe, sondern auch vermehrt die inhaltliche Interpretationshoheit an. Dabei wird die “nationale Kultur” der “linksliberalen Kulturhegemonie” gegenübergestellt. Besonders heftig fielen diese Kämpfe um das Nationaltheater aus (gerade geht es dort um den finalen Akt), aber auch die Vergabe des Direktorats des Neuen Theaters an einen offenen Antisemiten durch den Fidesz-OB zeigen, dass die Kultur als politisches Kampfmittel in Stellung gebracht wird.
Der Direktor der Mücsarnok (Kunsthalle), Gábor Gulyás, der erst im Vorjahr, also unter Fidesz-Ägide, ernannt worden war, trat am Montag von seinem Amt zurück, aus Protest gegen einen Kabinettsbeschluss, der die künstlerische und organisatorische Leitung seines Hauses in die Hände der “Ungarischen Kunstakademie” (MMA) legt. Diese Akademie war ursprünglich eine Privatinitiative von “national”-konservativen Künstlern um den kürzlich verstorbenen Architekten Imre Makovecz, wurde 1992 gegründet und erfuhr nach der erneuten Machtübernahme des Fidesz eine Aufwertung zur quasi amtlichen Akademie der Künste. Ihr wurde in dem jüngsten Beschluss nicht nur die Kunsthalle, sondern auch der Pester Vigádo (Redoute) übertragen.
Auslöser für die Übernahme, war eine kürzliche Ausstellung der Kunsthalle unter dem Titel: “Mi a magyar?”, die sich der Frage widmete, was eigentlich Ungarisch ist, in der neben viel Klischeebewältigung und Erwartbarem, die jungen wie etablierten Künstler auch provokative Interpretationen des Themas zeigten, wie das in der Natur der freien Kunst liegt. Viele davon waren sehr kreativ, auch witzig, die meisten eher noch brav, doch nichts war dabei, was für europäische Augen und Gemüter auch nur annähernd aus dem Rahmen fallen sollte. Unsere eigene Rezension befand die Sache insgesamt eigentlich noch als viel zu zahm, aber das mag auch an uns liegen. Die Schau war in jedem Falle ein erfrischender Kontrapunkt zum selbstmitleidigen Singsang, der sonst das Leitmotiv so vieler Reflexionen hierzulande ist, wenn man nicht überhaupt gleich in völkischen Größenwahn verfällt, wie erst letztens wieder bei der großen Heldenschau…
Das war für die MMA aber nicht statthaft. Der 80jährige Chef der – wohlgemerkt privaten – Institution, György Fekete, nannte die Schau “abscheulich” und “ein Fall von nationaler Blasphemie”. (Was die Glaubenswächter als angemessene Kunst betrachten, kann übrigens hier besichtigt werden.) Immerhin hat er damit zu verstehen gegeben, dass die Nation ein Heiligtum zu sein scheint und Nationalismus eine Religion ist.
Nun, nachdem das Kabinett in seinem Sinne entschieden hat, zog sich der Direktor zurück, weil er “nicht mehr unabhängig arbeiten darf.” Es ist daher “seine moralische Pflicht zurückzutreten.” Der Staatssekretär für Kultur meldet “Bedauern über den Schritt.
cs.sz.