In Budapest wird man täglich erinnert, wer sich als “echter Ungar” fühlen darf – und wer nicht. Ministerpräsident Orbán schürt Fremdenhass und lässt sich vom Volk feiern. Ein Leserartikel von Andreas Pigl
Am 23. Oktober fand in Budapest ein Straßenumzug statt, um an den Aufstand der Ungarn gegen die Sowjetherrscher von 1956 zu erinnern. Der Umzug wurde Friedensmarsch genannt. Zum Abschluss hielt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der in einem halben Jahr zur Wiederwahl antritt, eine Rede auf dem Heldenplatz. Seit zwei Monaten bin ich in der Stadt und arbeite als Gedenkdienstleistender im Budapester Holocaust Institut. Ich wollte mehr über die politische Situation in Ungarn herausfinden, deshalb habe ich an der Veranstaltung teilgenommen.
Ich schließe mich dem Zug von Regierungsanhängern an, die rot-weiß-grün gekleidet, Fahnen schwenkend und ungarische Volkslieder singend Richtung Heldenplatz marschieren. Dort angekommen drängen sich die Menschen vor der beeindruckenden Kulisse des Platzes dicht aneinander. Überall wird gesungen und geplaudert, doch als die Militärkapelle die ersten Töne der ungarischen Nationalhymne anstimmt, verwandelt sich die Menge von einem Augenblick zum anderen in einen riesigen Chor.
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